Erste  Pankower  Nervenheilanstalt
Breite Straße 18, 18a und 19     [ 1868 - 1922 ]


Scholinus

Scholinus
Hauptfront der Anstalt nach der Breiten Straße
Diese Häuser sind alle verschwunden, heute befindet auf diesen Grundstücken der Rathauscenterneubau.


Einige Anmerkungen zur Geschichte Berliner und Pankower Nervenheilanstalten:

Der Mediziner Wilhelm Griesinger (1817-1868) kam 1865 an die Charité. Mit der dort im gleichen Jahr eröffneten Nervenabteilung fand die moderne Psychiatrie ihre erste Heimstatt in Berlin.
Mitte des 19. Jahrhunderts existierten in Pankow einige von Nichtmedizinern betriebene "Irrenanstalten", die der Verwahrung von für unheilbar gehaltenen Geisteskranken dienten, zeitweilig wurden sieben Privat-Irrenanstalten betrieben. Die Einrichtung entsprang nicht etwa einem Bedürfnis der Pankower Einwohner, vielmehr kamen die in den Anlagen betreuten Kranken aus allen Teilen Berlins und seiner Randgebiete.
Die ärztliche Betreuung dieser Patienten wurde Dr. Mendel übertragen. 1868 gründete er in der Breiten Straße 18 eine Privatklinik zur Behandlung von Geisteskranken. Mendel leitete diese Einrichtung bis 1885 selbst, bis 1895 verblieb sie in seinem Besitz.
Der erste Direktor war Dr. Richter, ihm folgte von 1892-94 Dr. Oliven.

Lt. dem Chronisten May wurden 1894 Berliner Geisteskranke Ende des 19. Jahrhunderts lediglich verwahrt in:
Kgl. Charité zu Berlin, Dalldorf, Schöneberg, Steglitz, Charlottenburg und Herzberge.

Die Pankow-Chronik von 1936 nennt folgende frühere Nervenheil- und Irrenanstalten in Pankow:
Anstalten von Dr. med. A. Blitz, Gustav Engel, R. Feyh, Dr. Rudolf Gnauck, Prof. Dr. E. Mendel, G. Reyher, Dr. med. Paul Richter, Dr. med. Rosenstock, Sanitätsrat Dr. Gustav Scholinus, Philippine Welczeck. Die Anstalten befanden sich damals in der Breiten Straße sowie in der Wollank-, Damerow- und Mühlenstraße. Sie waren meist in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet worden, zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die meisten schon wieder eingegangen.


Mendel Prof. Dr. Emanuel Mendel
* 28.10.1839    † 23.06.1907
Arzt, Psychiater, Neurologe,Universitätsprofessor,
Mitglied des Reichstages, Gemeindevertreter in Pankow,
Vorsitzender des Pankower Bürgervereins,
Initiator des Pankower Krankenhauses,
Förderer des ersten Wasserwerkes und
Gründer der ersten Pankower Nervenheilanstalt.

Scholinus
Dr. med. Gustav Scholinus
* 15.12.1863    † 30.05.1922
Von Mendel erwarb Sanitätsrat Dr. Gustav Scholinus
1895 die Anstalt, die er bis zu seinem Tod 1922 leitete.

Nach seinem Tod wurde der Anstaltsbetrieb eingestellt
und die einzelnen Teile des Grundstücks
wurden für andere Zwecke nutzbar gemacht.
Breite Str. 18 war Wohnhaus der Witwe,
Nr. 18a erst Bürohaus der Steatit A.G. dann eine Privatschule,
Nr. 19 wurde an die Reichsbank verkauft,
die hier ihre Pankower Nebenstelle einrichtete.


Die Breite Straße im Wandel der Zeiten
Die Bebauung einer Straße verändert ständig ihr Aussehen und wie schnell vergisst man, wie es früher aussah. Um die Lage der "Irrenanstalt" aus dem nicht mehr vorhandenen Bild der Breiten Straße wieder in Erinnerung zu holen, sehen Sie hier den Teil der Straße, wie er sich in den letzten 100 Jahren verändert hat. ( Blickrichtung vom Rathaus Richtung Kirche.)
Pankow
um 1900
links vorn Rest. von A. Ringel, Nr. 21a
Pankow
um 1910
im Hintergrund das hohe Haus Nr. 16a
Pankow
um 1930
mit dem Gebäude der Reichsbank, Nr. 19
Pankow
um 1960
Diese Häuser standen zu DDR-Zeiten noch.
Pankow
um 1990
Die 2 Häuser links wurden 1998
für das Rathauscenter abgerissen.
Pankow
Januar 2006
Die Lücke zwischen Nr. 16A u. dem Rathauscenter
wurde 2006 durch einen Anbau geschlossen.


Scholinus
Ein altes Prospekt erklärt nicht nur die Anstalt,
sondern sehr seltene Fotos zeigen nicht mehr vorhandene Parks und Baulichkeiten an der Breiten Straße.


Die Heilanstalt von Dr. Scholinus in der Breiten Straße
Hier einige Textpassagen aus dem Prospekt von Dr. Scholinus um 1910:
Die von Professor Mendel 1868 gegründete Anstalt wurde allmählich so erweitert, dass sie jetzt 8 Gebäude umfasst, die für die Unterbringung von ungefähr 100 Kranken bestimmt ist. Die einzelnen Häuser sind von schattigen Gärten und Parkanlagen umgeben, die eine Gesamtfläche von 10 Morgen umfassen. Die Anstalt gewährt Gemütskranken beiderlei Geschlechts mit Einschluss stärker verstimmter Neurastheniker und Hypochonder, ferner Morphinisten und Alkoholikern Aufnahme und sachgemäße Behandlung. Der monatliche Pensionspreis beträgt je nach Zimmergröße 200 bis 400 Mark.
Außen-Einrichtungen der Heilanstalt
Pankow
Blick in den Vordergarten
Pankow
Blick in den Gemüsegarten
Pankow
Blick in den Park
Pankow
Einzelvilla
Pankow
Erste Damenabteilung vom Garten aus
Pankow
2. und 3. Damenstation vom Garten aus
Pankow
2. Damenhaus
Pankow
3. Damenhaus
Pankow damals
Abteilung der schwer kranken Herren
um 1906
Pankow heute
Kinder- und Jugendclub "Schabracke"
um 2006, also 100 Jahre später
Bei der Beschäftigung mit den Bauten auf dem Grundstück stellte ich fest,
dass ein altes Haus die Zeiten überdauert hat. Früher war es das Haus für kranke Herren.
Es befindet sich am hinteren Ende des damals großen Grundstücks.

Heute beherbergt dieses Gebäude, "Schabracke" genannt,
eine Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung mit der Anschrift Pestalozzistraße 8a.

Innen-Einrichtungen der Heilanstalt
Pankow
Gesellschaftszimmer der Damen
Pankow
Gesellschaftszimmer der Herren
Pankow
Salon der freiwilligen Pensionäre
Pankow
Krankenzimmer



Bei meiner Internetrecherche stieß ich zufällig auf einen Dr. Otto Gross, der in Fachkreisen bekannt sein dürfte. Aber was hatte er mit Pankow zu tun?
Otto (Hans Adolf) Gross ( * 17. 03. 1877 in Gniebing bei Feldbach / Steiermark     † 13. 02. 1920 in Berlin )
Dr. med., österreichischer Arzt, Wissenschaftler und Revolutionär:
Er hatte einen turbulenten Lebenslauf und war drogenabhängig.
"Pankow, 1920 Freitag, 13. Februar, 5 Uhr: Otto Gross stirbt an einer Lungenentzündung und möglicherweise Entzugserscheinungen in der Privat-, Heil- und Pflegeanstalt Dr. Gustav Scholinus in Pankow (Breite Str. 18), nachdem er zwei Tage zuvor halb verhungert und frierend in einem Durchgang zu einem Berliner Lagerhaus von Freunden aufgefunden wurde. Er hatte sie im Streit verlassen, nachdem sie sich geweigert hatten, ihm bei der Beschaffung von weiteren Drogen behilflich zu sein."



Scholinus
Dr. Scholinus-Familiengrab auf dem Pankower Friedhof III



"Anstalt zur Aufnahme Geisteskranker" von Dr. med. Paul Richter
Der erste Direktor der Mendelschen Anstalt, Dr. med. Paul Richter, erwarb das Grundstück Breite Str. 1 und erbaute hier 1892 seine eigene große Anstalt für Geisteskranke. 1908 ging die Anstalt in den Besitz von B. Gutmann über. Einige Jahre später, noch vor dem 1. Weltkrieg, ging diese Anstalt ein.
Pankow
Anstaltsgebäude
Pankow, Breite Straße 1
Pankow
Dr. Richter - Familiengrab
auf dem alten Pankower Friedhof I



"Gustav Engel´sche Privat Irren-Pflege Anstalt" seit 1887 in der Damerowstraße
Durch Zufall bekam ich von einem Sammlerfreund ein Siegel aus Pankow, da recherchierte ich weiter:

Und wieder ist ein Stück Pankow-Geschichte zu erfahren, denn Gustav Engel unterhielt auf dem Grundstück Damerowstraße 1, Ecke Hadlichstraße seit 1.10.1887 eine private "Irrenanstalt". Aber auch diese Anstalt wurde geschlossen und Josef Garbáty kaufte 1919 dieses Grundstück. In dem Haus wohnten jetzt Angestellte der Garbáty-Zigarettenfabrik. Nach dem alten Haus wird man heute vergeblich suchen, denn es wurde bereits 1935 abgerissen. Das Grundstück blieb unbebaut.
Siegel-Pankow
Siegel der Anstalt
Pankow
Damerow-, Ecke Hadlichstraße




Quellen:
Prospekt der Heilanstalt von Dr. Scholinus in Pankow bei Berlin, Eigentum Willy Manns
"Pankow einst und jetzt", Eine Chronik von L. May, 1894
"Große Stadt aus kleinen Steinen", Ein Beitrag zur Geschichte des 19. Berliner Verwaltungsbezirkes, 1936
"Pankow - Chronik eines Berliner Stadtbezirkes" von Rudolf Dörrier, 1971
"Jüdisches Leben in Pankow" von Dr. Inge Lammel, 1993
Heimatsammlung Manns, Pankow



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